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Bankomaten, Kreditkarten, Visen und andere Krisen. Wenn Sturheit zum Selbstläufer wird

In Mali will ich tun, was in Nouakchott unmöglich war: Meine Bargeldreserven auffüllen und zwar mittels meiner Euro-Master-Card oder mit der Post-Finanz Plus-Karte aus der Schweiz. Heute weiss ich, dass ich mir die Herumrennerei hätte sparen können, doch damals war ich noch voll Hoffnung und stur wie eine brasilianische Dattelpalme.

Wüstenfahrt und Ankunft in Bamako

Wir hätten laut Plan eigentlich am Sonntag, dem 2. Januar 2011 zwischen drei und vier Uhr Nachmittags in Bamako ankommen sollen, doch war am Grenzübertritt von Mauretanien nach Mali alles ins Stocken geraten, sodass wir dort statt gleich nach der Grenzöffnung um sieben oder halb acht erst um elf wegkamen. Als wir schliesslich in Bamako waren, war's neun Uhr abends. Ich hatte im Verlauf des Nachmittags immer wieder an meinen Couchsurfing Host Arby gedacht, der mich doch am Bus abholen wollte. Würde er warten oder würde er einfach aufgeben und michh im Stich lassen? Ich hatte seine Handynummer, aber wie würde ich in dem trubel der Ankunft ein Telefon finden und wie würde er auf die Zumutung reagieren, einen halben Sonntag nur wegen mir zu verplempern ... Mittlerweile war es bald sieben Uhr. Der Westmensch in mir begann ungeduldig zu werden: Weshalb diese dauernden Stops! Wir hatten doch eben eine Pinkelpause, Leute, dann verklemmt's euch doch mal eine viertel Stunde! Und wenn man schon stoppen muss, dann kann man die zwei Säcke doch auch in drei Minuten aus dem Bus tragen. schwatzen könnt ihr doch dann nachher ... Ja, der Westmensch begann sich zu regen, weil ihm die Sorgen durchs Gehirn krochen und ihn beunruhigten. Dabei hätte ich gelassen plaudern und entspannt Pinkeln können, denn die Probleme, die mich juckten, waren längst gelöst. Als wir am Bahnhof der buskompanie ausstiegen, und ich eben meinen Rucksack aus dem Bauch des Busses gefischt hatte, kam ein freundlicher Mensch auf mich zu und teilte mir mit, dass er eben meinen Freund angerufen habe, ich sei angekommen. Er werde in ein paar Minuten hier sein. So war's denn auch. Arby war um vier einmal in der Station gewesen, und da niemand wusste, wann der Bus kommen würde - vielleicht um fünf, vielleicht um zehn, velleicht auch in einer Minute oder erst morgen früh - hatte er einem dortigen Angestellten seine Telefonnummer gegeben und ihn gebeten, ihn zu benachrichtigen, wenn der blinde weisse Mann, den er erwarte, angekommen sei. Es sind zerbrechliche Gewebe, diese Netze der Improvisation und der informellen Hilfe, doch ich staune immer wieder darüber, wie gut sie funktionieren.

Bis zur mauretanischen Grenze gab's unendlich viele Polizeikontrollen. Wie bereits auf dem Weg von der marokkanischen grenze nach Nouakchott drei Wochen zuvor, wurde mein Pass ein ums andere Mal entführt, studiert und mir dann zurückgebracht. Nur einmal setzte sich der Bus wieder in Bewegung, ohne dass ich meinen Pass zurückbekommen hatte. Zuerst fragte ich die zwei relativ gut französisch sprechenden Männer hinter mir, ob der Polizist mit meinem Pass vielleicht noch an Bord sei. Dann schrie ich ganz im Stile Ousmanes: "Chauffeur, Chauffeur! Mon Passport!" Woraufhin dieser von vorne etwas zurückbrüllte, was gemäss der Übersetzung meiner Hintermänner bedeutete: "Ich behalte ihn bis morgen früh, machen Sie sich keine Sorgen".

Die Fahrt war im übrigen nicht sehr aufregend. Da ich die letzte Nacht im Bege nicht geschlafen hatte, döste ich so ziemlich den ganzen Samstag vor mich hin. Hie und da las ich ein wenig in einem Blindenschriftheft mit französischen Märchen, welches Mohamed Salem mir zur Aufbesserung meiner Orthographie überlassen hatte. Die Strasse war anfänglich sehr gut, doch zwischendurch ist sie offenbar noch nicht geteert; jedenfalls fuhren wir gegen Abend während zwei oder drei Stunden auf einem Stück Piste, welches mir einen Vorgeschmack von dem gab, was in den nächsten Wochen noch auf mich zukommen würde!

Um drei Uhr in der früh, also nach rund 20 Stunden fahrt, waren wir an der Grenze. Jemand sammelte unsere Bustickets ein, und dann wurden wir aufgefordert, es uns auf ein paar auf einem Betonboden liegenden, von einer einfachen Plane überspannten Matten bequem zu machen bis die Grenze am morgen geöffnet würde. Es war ein ziemliches Gedränge. Eine Familie trank Tee; andere lagen dichht an dicht und wieder andere sassen und plauderten. Um sieben ging's dann weiter oder eben nicht weiter ... Nun, jetzt war ich in Bamako und die lange Fahrt war bald vergessen.

Arby empfahl mir die Auberge Matongué, Tel. 764 987 31, die nahe am Fluss liege. Von dort sei's nicht weit zum grossen Markt am anderen Ufer. Angesichts der Ebbe in meiner Kasse beunruhigte mich der Preis von 10,500 cfa (rund 15 euro) für ein Einzelzimmer zwar etwas, und das ganze Ambiente mit grossem Innenhof, Swimming-Pool und allem drum und dran war gediegener als mir lieb ist, doch wollte ich Arby nach all seiner Geduld nicht weiter auf die Probe stellen. Im übrigen gab's hier Wireless und der Ort war echt schön, und wer weiss, vielleicht ist dies ja das billigste Zimmer in ganz Bamako. Das Taxi, das uns vom Busbahnhof hergefahren hatte, wirkte zwar ähnlich ramponiert wie die Taxis in Nouakchott, aber die Strassen waren zwischendurch richtig weltstädtisch! Das stimmte mich auch in Bezug auf meine Geldknappheit optimistisch.

Arby und ich sassen noch eine Weile zusammen und redeten, dann trennten wir uns. Er würde morgen um zehn hier sein, und mir helfen, mein Geldproblem zu lösen. danach wollten wir uns um mein Visum für Burkina Faso kümmern. Das klang wunderbar.

Wenn die Zahnrädchen unten rauszufallen beginnen. Bankenkrise in Bamako

Bevor ich ins Bett gehe, schaue ich mir noch meine Mails an. Unter ihnen ist eine Nachricht von Felix, mit dem ich vor drei Wochen einen halben Tag in Nouakchott verbracht habe. Er ist damals nach Bamako gefahren und ist offenbar immer noch hier. Er will wissen, wie's mir geht und wo ich stecke und ob wir uns vielleicht treffen könnn, falls ich zufällig in der Gegend sein sollte. Ich antworte ihm sofort und freue mich auf einen gemütlichen Abend mit ihm und seinen hiesigen Musikerfreunden. Leider stelle ich dann aber fest, dass mit der Mailerei irgend etwas nicht klappt. Ich kann zwar Mails empfangen und komme auch ins Internet, aber ich kann keine Mails verschicken. Ich versuche es noch ein paar mal, dann gebe ich auf. Morgen früh klappt's ja vielleicht. Doch nein. Wieder dasselbe. Dabei will ich Felix doch unbedingt treffen, und da ich morgen oder übermorgen schon wieder weiter will, muss dieses Mail weg, dieses und auch diejenigen an meine Kontaktpersonen in Burkina Faso und in Niger. Nun jaa, wenn ich nachher mit Arby unterwegs bin, werden wir eben irgendwo halt machen, wo's einen Wirelesszugang ins Netz - hier nennt man das WIFI - gibt. Das war zwar eine unnötige Komplikation, aber was soll man machen!

Arby?Er wollte doch um zehn hier sein. Nun, zehn - es ist ja erst halb elf, er wird schon kommen. Der Kaffee ist hier übrigens spektakulär und obwohl man ja eigentlich nicht auf Pump schlemmen soll, bestelle ich zur Beruhigung meiner Nerven und zur Aufheiterung des Gemütes noch eine zweite dicke leckere Tasse davon. Dann versuch ich's nochmal mit den Mails, doch wieder dasselbbe. Hmm, Arby, wo bleibt er nur. Es ist bald elf und wenn die Banken über Mittag zumachen und die Botschaft ... er hat doch gestern selber noch davon gesprochen, wie wichtig die Einhaltung von Terminen sei ...

Während ich meine steigende Ungeduld beobachte, erinnere ich mich an das englische Päärchen, dem Amie und ich vor sechs Jahren in einem indischen Reisebüro begegnet sind. Wir sassen dort auf den Foutons, die die Hälfte des Bodens bedeckten, und warteten auf irgend etwas, als ein resoluter engländer mit einer Frau im Schlepptau hereinkam. Er baute sich ohne hallo und wie geht's vor dem mit überkreuzten Beinen dasitzenden Inder auf und fragte in ziemlich gereiztem Ton, ob er jetzt vielleicht endlich erfahren könne, ob ihr Zug heute Nachmittag um 15:00 oder um 15:30 abfahren würde und ob sie morgen in x wirklich anschluss auf den Zug nach y hätten oder ob der Zug tatsächlich erst um 17:00 fahre, wodurch sie den Anschluss in x evtl. verpassen würden. Der Inder lächelte, doch das half nichts, im Gegenteil. Der Engländer wollte es wirklich wissen und zwar jetzt und sofort, hier, sofort! Von diesem still lächelnden Menschen auf der Erde. Sie seien jetzt schon drei Mal hier gewesen uncd immer heisse es "vielleicht" und "kann sein" und "kein Problem". Er müsse doch einen Fahrplan haben, wo das eindeutig drinstehe. "Yes, possible", meinte der Inder, da machte es Krach und beim Man waren die Nerven gerissen: Was das heisse, possible, possible, er wolle verdammt nochmal eine Fahrplanauskunft und keine spiritistische Sitzung mit einem indischen Fakier ... Das vom Fakier hat er vermutlich nicht gesagt, aber er hätte es sagen können, er hätte auch zusammenbrechen und Weinkrämpfe bekommen können, doch da die Frau ihren tobenden Gatten in diesem Moment sanft zur Tür dieses kleinen Lädchens hinausschob ist darüber nichts weiter bekannt, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Mensch sich nie mehr ganz von diesem Zusammenbruch erholt hat! Ich denke also an diesen Engländer und daran, wie grotesk sein Verhalten war. Die Erinnerung beruhigt mich etwas. Halb zwölf. Zwölf. Naja, afrikanische Zeit ... das gleitet eben alles so dahin. Das mit dem Visum klappt heute dann wohl nicht mehr. Naja, ist ja nicht schlimm ... Nicht schlimm, stimmt, und doch ist in meinem Innern ein dumpfes Grollen als ob sich da etwas zusammenbraut! ich denke an den Engländer und versuche mich zu entspannen. Dieses Nervössein hilft eh nichts. Ich beginne meine Mails aufzuräumen, das ist wie Silber putzen, beruhigt die Nerven. Um eins beschliesse ich, dass ich jetzt nichht mehr warte, sondern so tue, als ob ich den ganzen Tag für mich habe. Ich schreibe Tagebuch bis Arby schliesslich kommt. Ja, er habe in der Früh ein Mail bekommen mit einer Sache, die er dringend habe übersetzen müssen, sodass er nicht um zehn hier sein konnte. Ich verkneife mir den Hinweis, dass man ja vielleicht anrufen könnte ... So was hätte man früher ssagen können, aber heute? Der Westmensch muss lernen, dass es neben seinen Göttern Zeit und Effizienz noch andere Götter gibt. Er muss diese Möglichkeit zumindest in Betracht ziehen. Also versuche ich mein reaktionäres Hinterland umzuerziehen und mein inneres von den letzten Resten europäischen Überlegenheitsdünkels zu reinigen! Arby hilft mir ja aus freien Stücken, einfach so, nicht weil er muss oder weil er dafür bezahlt wird. Und wenn wir die Botschaft heute nicht mehr schaffen, ist das ja kein weltuntergang!

Nachh kurzem Plaudern nehmen wir ein Taxi zu einer der Banken, die laut den von meinem Bruder Thomas im internet gefundenen und mir gemailten Angaben meine Post-Card akzeptieren. Ich bin zuversichtlich, denn es sind immerhin acht oder zehn Adressen und im Vergleich zu Mauretanien gilt Mali in Sachen Bankwesen als wesentlich weiter entwickelt. Vor Ort sieht die Lage allerdings weniger ermutigend aus; nur Visa Cards. Auch ein Versuch trotz allem scheitert. Der Geldautomat will von meiner schönen Karte mit ihren blauen Dreiecken nichts wissen. Macht nichts, denn Nummr zwei auf der Liste ist nur hundert Meter weiter die Strasse entfernt. Die hundert Meter müssen allerdings erkämpft werden, denn man scheint in Bamako dreimal so schnell zu Fahren als in Nouakchott, wobei die Fussgänger sich auch hier irgendwie zwischen parkierten und fahrenden Autos durchschlängeln oder auf schmalen Bordsteinen entlangbalancieren müssen. Doch da ist die zweite Bank. Wir versuchen die Automaten. Wieder kein Glück. Eine Bankangestellte ermutigt uns jedoch: Der Kollege, der für diese Sache zuständig ist, könne uns sicher helfen, denn er wisse alles über Kreditkarten, nur sei er leider schon heimgegangen, da er etwas krank sei. Aber morgen! Wir sollten doch morgen wieder kommen und mit ihm sprechen. - Morgen wiederkommen? Ich glaube, ich muss meinem Herzen einen Ruck geben und die Sache mit der Post-Card vergessen. Obwohl Bargeldbezug mit der Master-Card nicht gerade eine ökonomische Lösung ist, werde ich morgen in den sauren Apfel beissen und meine Master-Card zum Einsatz bringen. Am Abend sitzen Arby und ich noch ein paar Stunden zusammen, essen und reden. Er erzählt mir viel von Mali und von seinen Projekten. Das Dokument, das er am Vormittag übersetzen musste, ist die Gründungsurkunde einer Stiftung zur Förderung traditioneller malischer Musik und Musiker, durch die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die diese Musik studieren und weiterpflegen wollen. Arby ist ein interessanter Kerl. Während er erzählt, wacht er langsam auf. Die Schläfrigkeit, mit deer er sonst dauernd zu kämpfen scheint, ist weg. Er erzählt von seinen Reisen durch die verschiedenen Teile von Mali, von der positiven Entwicklung und der innenpolitischen Stabilität des Landes seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahre 1991 und davon, was er beruflich tun will, wenn er seine Ausbildung in Wirtschaftsrecht abgeschlossen hat. Nein, er wolle auf keinen Ffall aus Mali oder aus Afrika weggehen, jedenfalls nicht dauerhaft. Im Gegenteil. "There is so much to do here, why should I go away". Er spricht sehr gutes Englisch, und ich bin froh, dass ich ausnahmsweise einmal ein Gespräch führen kann ohne dauernd nach irgendwelchen wichtigen, mir aber leider nicht bekannten Worten zu fanden.

Nachdem Arby gegangen ist, versuche ich noch einmal meine Emails zu senden ... Noch immer kein Glück. ich hatte am nachmittag vergessen, auf unserer Bankentour nach ungeschützten Wirelessnetzen zu suchen, und als ich Arby später danach fragte, war seine Reaktion so hilflos und zögerlich, dass ich nicht mehr weitergebohrt habe. Wenigstens habe ich am Abend mit beiden meinen Kontaktmännern telefoniert. Boukarar freut sich, mich in ein zwei Tagen in Ouagadougou zu sehen, und Ismael hat hoffentlich verstanden, das ich am Samstag oder Sonntag in Niamey sein und wenn möglich bei seiner Familie wohnen möchte. Er klang sympathisch, doch die Leitung war unglaublich mies und nachdem wir dreimal rausgeschmissen worden waren, hatte ich keine lust mehr auf weiteres sinnloses "hallo! Hallo ..! Halllllo? ...".

Am Dienstag Vormittag, meinem zweiten Tag in Bamako am grosssen Fluss Niger, rief ich die konsularische Vertretung der Schweiz an, denn, so hatte ich mir am Abend vorher überlegt, wenn irgend jemand weiss, ob man meine Post-Card in dieser Stadt nicht doch brauchen kann, dann sind es die Leute auf dem Konsulat. Ich wurde mit einer freundlichen Dame verbunden, die mir jedoch bestätigte, was ich inzwischen zur genüge gehört hatte: Keine Post-Card in Bamako. "Und Master-Card?" "Master-Card, nein, die geht auch nicht in Mali." "Sie meinen ...", "ja, nirgends in Mali". Mit dieser Nachricht hatte ich nicht gerechnet. Jetzt wurde die Sache mit dem Geld ernst. Ich fragte die Dame, ob das Konsulat nicht helfen könne, denn ich hätte nicht einmal mehr genug Geld, ein Taxi zu bezahlen und eigentlich wolle ich morgen oder übermorgen weiter. Vielleicht hätten sie ja einen Weg - ein konto in der Schweiz, auf welches mein Brudr Geld überweisen kann, welches sie mir vorschiessen. Vielleicht 500 oder 1000 Euro? "O nein, so etwas haben wir nicht; das tut mir Leid".

Ich denke an den Engländer ... Pass bloss auf, dass dir die Zahnrädchen nicht unten rausfallen! Ich überlege, ob ich den Blindenjoker ausspielen soll, aber ich bin dazu zu stolz. Entweder helfen sie allen StaatsbürgerInnen, wenn diese ein Problem haben, oder sonst helfen sie eben nicht. Ich frage noch einmal, sage, so etwas wäre doch ganz einfach. Doch leider nein. Sie wisse halt auch nicht, ob ich denn niemanden in Bamako kenne ... Ich bin drauf und dran etwas unfreundliches zu sagen, aber da man so was nicht tut, sage ich bloss, herzlichen Dank für ihre Auskunft und beende das Gespräch. Ich überlege, was jetzt noch möglich ist. Ich wollte ja das reale, alltägliche Afrika kennenlernen, aber ich hatte dabei eher an staubige Strassen und an Busse gedacht, in denen alte Frauen ihre Hühner zum Markt fahren. Dass man in zwei Hauptstädten tagelang rumrennen muss, um zu begreifen, dass auch die Bankenwelt hier noch niccht so weit entwickelt ist, wie bei uns zuhause, egal was das Internet dazu sagt, das hatte ich nicht erwartet. Internet? Ich nahm noch einen letzten Anlauf "Master-Card Bamako" und da finde ich doch tatsächich einen Hinweis darauf, dass die Banque Atlantique die Master-Card akzeptiert. Vielleicht also doch! Vielleicht war ich doch schlauer als Lady Hilfsbereit vom Konsulat!
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Inzwischen war's halb zwölf. Arby wollte doch um zehn hier sein ... Dieses reale Afrika legt sich wie tang um die Füsse dessen, der von seinem europäischen Tempo nicht runter kommt. Halb zwölf und wir haben doch so viel zu tun. So viel? Nur was eigentlich? Lauter blödes Zeug, dabei bin ich doch in Bamako, einer Stadt mit einem interessanten Musikleben, einem riesigen Markt und anderen Dingen, die man besuchen und geniessen könnte.

Arby sucht Sally und sie bringt mir noch einmal ihr Handy, auf dem ich immer noch Kredit habe. Ja diese Handys und der kredit, das ist ein Kapitel für sich: In Nouakchott haben die Menschen in der Regel so wenig Geld, dass sie ihr Handy nur mit jeweils einem oder zwei euro aufladen. Sie müssen deshalb dauernd schnell wohin, um neuen Credit zu kaufen. Man findet die kreditverkäufer überall, manchmal zehn oder zwanzig nebeneinander. Dabei haben sie alle ihr Handy mit einer Werbebotschaft laufen: "Hier nur 400 für 500", "siebenhundert statt tausend, siebenhundert statt tausend". Es ist ein gegacker wie auf einem Hühnerhof. Ich frage mich, weshalb man hier auf diese Weise auf sich aufmerksam macht. In der Schweiz gibt's für so was Plakate und ähnliches. Waren werden kaum mehr ausgerufen. "Ja", erklärt mir jemand, "bei euch vielleicht, aber hier können 50% der menschen nicht lesen oder schreiben, da würde das niccht sehr viel bringen." Die Erklärung gefällt mir. Doch zurück nach Bamako.

Arby und ich gehen dennoch in die Stadt, um die Banque Atlantique zu erproben, denn was ist, wenn Klaus nicht helfen kann. Diesmal gehen wir zu Fuss. Das entspricht nicht nur unseren Finanzen, es ist auch interessanter. Wir kommen durch breite sandig-kiesige Strassen. Vor den Wohnhäusern auf beiden Seiten wird überall gekocht, gegessen, geschlafen, geschwatzt und herumgewerkelt wie wenn die Strasse die Wohnstube dieser menschen wäre. Arby sagt, dies sei im Grunde auch so. Drinnen sei es oft zu eng, sodass sich bei vielen Familien ein Grossteil des häuslichen Lebens draussen abspiele. Wir kommen zu einer Kreuzung mit richtigen Rotlichtern, die sogar beachtet werden. "Nun - nicht immer, aber oft steht da auch noch ein Polizist und da nimmt man die Lichter schon ernst." Ja, das sei alles relativ neu. Bamako und Mali entwickelten sich. Streckenweise gibt's jetzt auch richtige Trotoirs und da ist die Banque Atlantique! Ein neuer Höhepunkt in unserer Jagd. "Well", sagt Arby, dem die Sache richtig Spass zu machen beginnt, "i see the sign of Master-Card ... but onnly the sign. There's no machine there." Immerhin, wo dieses Zeichen prangt, muss doch auch irgendwo eine solche Maschine stehen. Wir treten in die Bank und werden von einem freundlichen Menschen empfangen, der uns erklärt, dass die Banque Atlantique tatsächlich bis vor kurzem Master-Cards akzeptiert habe, dass der Kontrakt inzwischen aber ausgelaufen sei. Als Arby etwas vorwurfsvoll sagt, dass das Symbol aber doch noch draussen sei, sagt der Mann strahlend: "Oui, le signe est toujours là." Er findet das offenbar gut, jedenfalls schöner als eine leere Stelle auf einer grauen Mauer. Er hat mir doch einiges voraus auf dem Pfad der Erleuchtung ...

Da der Experte in Sachen Kreditkarten, der gestern leider krank war, nicht weit ist, statten wir auch ihm einen Besuch ab. Nachdem auch er uns bestätigt, was wir inzwischen bereitwillig glauben, frage ich ihn, ob ich denn eine Visakarte kriegen könne, denn das ist ja vielleicht auch eine Lösung meines Problemes. O ja, sagt der Fachmann, das sei möglich. "Und wie lange würde das dauern?" "Nun, wenn man express bestellt, dann geht das schnell." "Wie schnell?" "Also in zwei Monaten haben Sie die Karte." ich bedanke mich freundlich und wir gehen. ich komme mir allmählich wie Kommissar Wunderlich vor, der allen Hinweisen nachgeht und bis zwei Seiten vor Schluss des Krimis nicht weis, welche Spur schliesslich zum Ziel führt, der aber spürt, dass er der Lösung nahe ist. Lösung? Natürlich! Die Fünfsternehotels! Dort bezahlen doch alle mit irgendwelchen Kreditkarten! Da müssen die doch etwas wissen oder irgendeine Notlösung anbieten!

Wiedr steigt meine Hoffnung und meine lust am Lösen scheinbar unlösbarer Probleme. Und wieder stirbt die Hoffnung vor dem Pokerface hinter einer protzigen Marmortheke. Nur Visa, leider, es tue ihr leid. Nur Visa. Auf meine eher einem allgemeinem humanitären Interesse entspringenden Frage, ob bei ihnen öftr Menschen auftauchen, die in einer ähnlichen lage seien wie ich, wiederholt sie: Nur Visa, leider, nur Visa. ich sage, ich hätte das verstanden, doch wüsste ich gerne, ob bei ihnen öfter Menschen auftauchen, die keine Visakarte haben und dringend Bargeld bräuchten. "Nur Visa, leider nur Visa". Eine andere Dame begreift schliesslich und sagt, ja, solche menschen kämen öfter, und als ich frage, was sie diesen denn raten, sagt sie "nichts. Wir sagen ihnen, dass sie ihr problem ohne uns lösen müssen, da wir nur Visa akzeptieren, nur Visa." Damit treten kommissar Wunderlich und sein Assistent Arby den Rückzug an. Bleibt nur noch Klaus oder die auch hier überall gegenwärtige Western Union, der ich voor 12 Jahren allerdings einen ewigen Krieg geschworen habe, und die ich nie nie mehr benützen will, weil Jeffrey mir damals über diesen Weg so viel Geld aus der Tasche gezogen hat. Western Union -- nur über meine leiche ... Wieder denke ich an den Engländer, aber Western Union! nein, niemals!

Aufregen, Abregen, Durchatmen. Emotionaler Hürdenlauf nach Ouagadougou und erste Zweifel an meinem Kongoplan

Als wir in der auberge ankommmen ist da tatsächlich ein Mail von Klaus mit der Telefonnummer von Anke. Ich solle sie anrufen. Anke ist äusserst nett. Ja, sie wohne ganz nahe und - nun 300 euro könne sie sofort vorbeibringen. Wenn ich mehr bräuchte, dann müsste ich mich allerdings leider bis morgen oder übermorgen gedulden. 300 euro! Mir läuft bereits das Wasser im Mund zusammen, wenn ich denke, wie wir jetzt kulinarisch auf die Pauke hauen können. Ich wäge kurz ab, sage dann aber zu. 300 Euro, und diese sogar noch persönlich hier vorbeigebracht - in ein paar Minuten! Da können wir ja heute noch eine Busfahrkarte nach Ouagadougou kaufen, und ich kann tatsächlich wie geplant morgen früh weiterfahren. Uff! Dieses lästige Geldproblem wäre also gelöst, zumindest vorläufig. Während wir auf Anke warten, sitzen wir an der Bar und genehmigen uns, in Erwartung unseres künftigen Reichtums, ein Coke und ein Bier. Eine Stunde später habe ich meine Busfahrkarte für den nächsten morgen in der Tasche und sitze mit Arby an einem einfachen Holztisch eines Strassenrestaurants, wo wir einen grossen Teller Fleisch verzehren, während er mir mehr von Mali, von der hiesigen Küche und seinen Eindrücken von Senegal erzählt.

Schade, dass ich schon morgen fahre und nicht länger hier bleibe. Doch wenn es mir wichtig ist, viel Zeit im Kongo zu haben - und das ist mir wichtig -, dann kann ich nicht überall bleiben und mich auf alles einlassen. So isst es eben. Ich bin nur auf Durchreise. In meinem Herzen ist wieder Friede.

Wie zerbrechlich dieser Friede ist merke ich allerdings als der Taxifahrer, der mich am nächsten Morgen um Viertel nach vier zur Busstation fahren soll nicht auftaucht, und als mir der Polizist an der malischen Grenze erklärt, "ja doch, ein Visum für Burkina Faso können Sie an der Grenze bekommen, aber es ist teurer, wegen der Strafe: alles in allem 96,000 cfa." 96,000 cfa!- Wie so viele Krisen lösten sich auch diese in Wohlgefallen auf: Der Gardien, der die ganze Nacht auf einem Stuhl vor der Auberge sitzt, meinte zwar zuerst, dass es doch erst vier uhr sei, doch als ich darauf bestand, dass 0:59 viel näher bei fünf denn bei vier Uhr sei, machte er sich schliesslich auf den Weg und fand ein anderes Taxi für mich. Am Busbahnhof hatte ich sogar noch Zeit für zwei kleine Kaffees. Und das Visum für 150 Euro war vermutlich ein Scherz des malischen Grenzmannes, denn der Zollbeamte, der mir eine halbe Stunde danacch das Visum ausstellte, winkte nur ab, als ich zahlen wollte. "Non non, c'est bon comme ça". - Wie, gratis? Und ich war einen Moment lang schon drauf und dran gewesen, dieser gierigen afrikanischen Gängsterbande für immer den Rücken zu kehren .

Der Scherz des malischen Zöllners hat mich tatsächlich für eine Weile so sehr aus der Fassung gebracht, dass ich mich auf der Weiterfahrt zu fragen beginne, wie es um mich und meine Nerven bestellt ist, wenn mich derlei Dinge schon jetzt so sehr strapazieren. Ich habe immerhin noch drei oder vier Wochen Fahrerei vor mir und das braucht nicht nur Sitzfleisch und Geduld, sondern auch eine grosse Gelassenheit, denn es wird Scherze geben, gute und schlechte, und es wird Pannen geben, falsche oder sich widersprechende Auskünfte, , unauffindbares Gepäck, ungeduldige Ladenbesitzer, Gedränge vor den Bussen, aufdringliche Bettler, stickige und zu teure Hotelzimmer, ungeschickte helfer, Moskitos, dazu vielleicht auch Durchfall und Hitze, Busfenster, die sich nicht öffnen und andere, die sich nicht schliessen lassen, ewige Wartereien etc. etc. Und dazu das zweite, was ich auch jetzt wieder stark erlebe: Ich würde die Landschaften um mich sehen wollen, würde wissen wollen, wie sie sich langsam oder ganz plötzlich verändern, würde wissen wollen, was hinten im Bus geschieht, wo auf einmal so ein Geschrei und Gelächter ist; ich würde wissen wollen, was die menschen um mich her rufen, während wir wwiedermal eine Pause machen und uns die Füsse vertreten; ich würde wissen wollen, was die alte Frau neben mir murmelt und ob es überhaupt eine alte Frau ist, wie sie gekleidet ist und wie sie dreinschaut ... All dies und noch viel mehr würde ich wissen wollen, während mein Wunsch und mein Versprechen, spätestens Ende Januar in Uvira zu sein, mich zwingen, immer weiter und weiter zu fahren. Ich hatte schon darauf verzichtet, ein paar zusätzliche Tage in Bamako und in Mali zu bleiben. In Burkina Faso und in Niger würde ich auch nur zwei Tage sein und danach würde der Stress weiterzukommen vielleicht noch grösser. Selbst wenn mir die Zahnrädchen nicht unten rausfallen und ich am Ende nicht in irgend einer kongolesischen Klapsmühle lande: Wozu tue ich dies? Sicher: Die Idee auch lange Strecken auf dem Landweg zurückzulegen reizt mich. Sie reizt mich noch immer, denn ich will nicht, dass die Welt für die BewohnerInnen der Entwickelten Länder immer mehr zu einem blossen Netz von Flughäfen und einem mehr oder weniger bunten Strauss von säuberlich aufbereiteten touristischen Attraktionen wird. Ich will dies nicht, denn dies bedeutet, den Kontakt mit dieser Erde und der grossen Mehrheit ihrer BewohnerInnen zu verlieren! Ich will, dass wir auf dem Boden bleiben, ganz nah bei der konkreten Realität hier unten! Ich will zumindest, dass wir diesen Boden und diese Realität nicht aus den Augen verlieren und vergessen, weil niemand mehr weiss, dass man auch noch heute, im Jahr 2011 mit dem Bus quer durch Afrika fahren kann, und weil niemand da ist, der erzählt, wie es war - da unten bei den Leuten ... Dazu wollte ich nicht fliegen, weil ich mich auf das Abenteuer und die vielen Eindrücke gefreut habe. Doch das Abenteuer entpuppt sich vor allem als grosse Geduldsprobe: Ich stosse auf keine Löwen und habe keinne Zeit, mich zu den Medizinmännern ans Feuer zu setzen oder die blinden malischen Musiker Amadou und Miriam zu besuchen. Das Abenteuer reduziert sich auf besonders holprige Pisten und die vielen Eindrücke sind am Ende eine kümmerliche Sammlung von ein paar zufälligen Einzelheiten und das schmerzliche Bewusstsein, den Grossteil dessen, was es auf dieser langen Reise zu sehen gibt, nicht gesehen zu haben. Schon jetzt habe ich von der Landschaft Malis und den Dörfern, durch die wir vielleicht gefahren sind, nichts gesehen, und eben ist da draussen Burkina Faso und ich sehe wieder nichts.

im Bus läuft seit vier Stunden dieselbe Reggay-Musik... Mein Nachbar, schläft. Er hat jedenfalls nicht reagiert, als ich ihn fragte, was es draussen im Augenblick zu sehen gibt. Bei den seit der Grenze selten gewordenen Pausen sitze ich erschlagen auf irgend einer Holzbank vor dem Bus, der mit laufendem Motor auf die Weiterfahrt wartet. manchmal raffe ich mich auf und frage jemanden, ob's hier irgendwo Kaffee gibt ...

Ich frage mich, ob es nicht Zeit ist, die Idee der Überlandreise aufzugeben: Plöztlich bekomme ich Lust, stattdessen etwas länger im Niger zu bleiben und von dort aus Ende Januar nach Burundi zu fliegen. Von der dortigen Hauptstadt ist es nur eine halbe Autostunde bis Uvira ... Allerdings reizt es mich noch immer, herauszufinden, ob die Fahrt durch Nigeria nach Kamerun machbar ist, denn Nigeria hat unter Reisenden den Ruf etwas wilder und schwieriger als andere afrikanische Länder zu sein. Allerdings würde das bedeuten, dass ich auch im Niger nur ein paar Tage bleiben kann ...

Als wir gegen 10 Uhr Abends endlich in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos ankommen, bin ich schon fast entschlossen, mein Quer-Durch-Afrika-Projekt zumindest für diesmal aufzugeben. Ich fühle mich erleichtert. Die letzten Tage waren wirklich zuviel. Doch seltsam: schon am nächsten Tag kehren die Reiselust und mein sturer Widerspruchsgeist zurück: Aufgeben? Einfach so in ein Flugzeug steigen und den Fluchtweg der Reichen benützen ... Natürlich wäre es bequem, aber was geht dabei nicht alles verloren! Also vielleicht doch weiter ... nicht in 80 Tagen um die welt wie bei Jules Vernes, aber immerhin in 18 Tagen nach Uvira ... Nun, wir werden sehen. Bis Samstag bin ich jedenfalls einmal hier, in Burkina Faso.

© Martin Näf, 2011